Seit 2003 erscheint jährlich die „Whisky Bible“. Autor Jim Murray kürt darin den „Whisky of the Year“ und präsentiert mehr als 4.700 Whiskies mit Bewertung. Murrays Anspruch ist, dem Whisky Lover einen „access to easy-to-undestand information about as many whiskies as possible“ an die Hand zu geben. Daraufhin habe ich mir die aktuelle Ausgabe angeschaut
Jährlich verkostet und bewertet Jim Murray mehr als 1.000 Whiskies, nach eigenen Angaben allein in 2019 1.252. Die „Whisky Bible 2020“ umfasst 382 Seiten mit Wertungen von mehr als 1.800 Single Malt Scotch Whiskies, etwa 400 blended Scotch, 900 American Whiskies und viele, viele weitere aus aller Welt.
Das Punktesystem
Für jeden Whisky werden Nose (N), Taste (T), Finish (F) und Balance (B) bewertet. Je Parameter werden Punkte zwischen 0 und 25 vergeben, die Summe ergibt die Gesamtpunktzahl.
Daraus werden folgende Spitzen-Kategorien gebildet:
80-84,5 Punkte: Good Whisky / 85-89,5 Very good to excellent / 90-93,5 Brilliant / 94-97,5 Superstar Whiskies.
Wer auf die Gesamtpunkte eines Whiskies schaut, sollte also berücksichtigen: Ein Whisky, der viermal 24 Punkte erhält, kommt auf 96, ist also ein Superstar-Whisky. Erhält er 2 Punkte je Kategorie weniger, landet er bei 88 Punkten, also nur in ‚good to excellent‘, und das sind 2 Klassen tiefer.
Zu den Angaben der Punkte gibt es nur wenig Text. So erfährt man wenig über Riechen – Schmecken – Abgang, wie man es von Tastings oder von Beschreibungen auf einschlägigen websites kennt. Daher ist die Whisky Bible vor allem als Vergleichsgröße bei Tastings oder als Ergänzung von Verkostungsnotizen interessant.
Das Schema mit den 4 Kategorien finde ich gut, daran sollte man sich orientieren, um Whiskies systematisch zu bewerten. Und man kann „seine“ Punkte dann mit Mr. Murray vergleichen (der häufig von meinen Wertungen
abwich -;)).
Murray schreibt selbst, dass jeder zu anderen Wertungen als er kommen könne. Aufgrund seiner mehr als 30-jährigen Erfahrung hofft er allerdings, dass seine „Bible“ eine Hilfe, eine Orientierung ist für alle Liebhaber und Enthusiasten, die sich Geschmackstests noch erarbeiten.
Whisky of the Year 2020
Und die besten Whiskies 2020? (gekürt Sept 2019)? Die drei ersten Plätze hat Mr. Murray nach Amerika vergeben: 2 Bourbons, 1 Rye. Eine erstaunliche regionale Beschränkung bei so viel Auswahl! Aber gerade dies sichert wohl die mediale Aufmerksamkeit bei der Bekanntgabe des „Whisky of the Year“.
Bemerkenswert: ein Bourbon-Whiskey von „Weller“, 2020 auf Platz 2, war 2019 auf Platz 1, 2017 auf Platz 3. Nur dreimal in den letzten 5 Jahren schaffte es ein Single Malt Scotch unter die letzten drei, jedesmal Glen Grant 18 Jahre. Bei 4.700 Whiskies insgesamt und hunderten in der „Superstar“-Kategorie ist das eine erstaunliche Konzentration auf wenige Whiskies, die Murray in den Kreis der erlauchten Spitzen-Whiskies hebt. Na denn.
Beruhigend: die höchsten vier Punktwertungen, also 96/96,5/97/97,5, gingen an 101 Single Malt Scotch Whiskies, die damit die Spitzenwertungen absolut dominieren – auch eine Qualitätsaussage. Übrigens: Der letzte schottische Whisky auf Platz 1 war Glenmorangie Ealanta im Jahre 2014. Deutsche Distillerien und ihre Whiskies werden auf immerhin 13 Seiten beschrieben.
Was mir auffiel
Jährlich rd. 1.200 Whiskies zu verkosten und zu bewerten und mehr als 4.700 bepunktete Whiskies zu veröffentlichen – das ist schon eine tolle Leistung. Aber: Wie hilfreich und informativ ist das? Je Distillerie sind 20, manchmal mehr als 60 Abfüllungen bewertet? Von diesen Abfüllungen sind zudem viele unbekannt, kaum erhältlich.
Umgekehrt vermisse ich manche Abfüllungen, die gängig sind (und die ich in meiner Bar habe), z.B. Bartender’s Malt (Auchentoshan), Glen Grant 16 Jahre, Edradour Ballechin, Jura Diurachs‘ Own, Strathisla 16 Jahre, Octomore 08,1, Laphroaig Legacy, Kilchoman Quarter Cask, etc.
Ich wünschte mir eine sorgfältigere, begrenzte Auswahl je Distillerie mit mehr einschlägigen Abfüllungen.
Viele Bewertungen muss man ja eh nicht teilen. Aber ich frage mich, ob Mr. Murray eine Abneigung gegen double cask-Reifung hat, also gegen in Eichen und Sherryfass gereiften Whiskies? Double Woods von Balvenie (80,5), Aberlour (84) Bowmore Sherry (82) erhalten auffallend häufig niedrige Punktezahlen. Dabei sind diese wunderbar komplex und eignen sich gut als Einstieg in das Tasting von Whiskies mit Sherryfass-Reifung.
Eine größere Vorliebe scheint er gegenüber rauchigen Whiskies entwickelt zu haben, nicht nur zu Islay-Whiskies, auch die Rauchigen von GlenDronach, BenRiach u.a. erhalten hohe Punktzahlen. Aber auch hier ist er nicht immer überzeugend. Z.B. Ardbeg Ten mit 97 Punkten und Ardbeg Corryvrecken mit 96,5 Punkte zu bewerten, passt m.E. nicht zusammen. Ardbeg Ten ist ein großartiger Whisky und ein guter Auftakt zur Torfreihe eines Tastingabends. Aber er liegt doch mindestens 4 Punkte unter dem Corryvreckan mit seiner größeren Intensität!
Viele Wertungen sind überraschend, aber das ist ja gut so. Es ist reizvoll, einige Whiskies mit Gästen zu verkosten und nach diesen Kategorien zu bewerten — und dann mit den Bible-Wertungen zu vergleichen. Spannende Diskussionen sind garantiert. Das entzaubert die Bible, macht sie aber auch zu einer ernsthaften Referenzgröße.
Fazit
- Der „Whisky of the Year“ sollte nicht allzu ernst genommen werden, er ist vor allem medienwirksam und daher gutes Marketing für die Whisky Bible. Wird allerdings ein Amerikaner auch nächster „Whisky of the Year“, sollte Mr. Murray auch konsequent die amerikanische Schreibweise übernehmen und ihn „Whiskey of the Year“ nennen.
- Die Auswahl der verkosteten Whiskies sollte sorgfältiger erfolgen: insgesamt weniger, dafür mehr bekannte und einschlägige Whiskies
- Die Bewertungen sollten schlüssiger sein, jede Wertung ist relativ, d.h. sie steht auch in Beziehung zu anderen Whiskies gleicher Geschmacksrichtung. Nicht der Absolut-Wert des einzelnen Whiskies ist spannend, sondern der Vergleich von bspw. 6 verkosteten Whiskies.
Alles in allem ist die Whisky Bible eine interessante und informative Quelle und: mit Verbesserungspotenzial.
Das Punktesystem ist eine gute Orientierung für eigene Geschmacksbewertungen. Und vergleichende Bewertungen an einem Tasting-Abend gewinnen durch diesen biblischen Vergleich. Daher ist es nützlich, eine Whisky Bible zur Hand zu haben, man muss sie ja nicht jährlich kaufen.
Schließlich: Wichtig ist im Glas! Keine Bible sagt dir, wie ein Whisky schmeckt. Da hilft nur: Einschenken! Verkosten!
Der beste Whisky ist der, der mich und meine Gäste begeistert.
Na denn: Slainte Mhath!